Die braunen Ursprünge von Regionalgeld, Zinskritik und Postwachstumsökonomie

Alhambra, Hermannstr. 83, OL

Regionalgeld, Tauschringe, Zins... und die Freiwirtschaftslehre von Silvio Gesell.

Veranstaltung am Donnerstag, den 12. Februar um 20.00 Uhr im Alhambra, Veranstaltung mit dem freien Journalisten Peter Bierl.

Peter Bierl hat eine kritische Gesamtdarstellung der Freiwirtschaftsbewegung, ihrer Theorie und Entwicklung, ihrer Vorläufer und ihres aktuellen Einflusses in Deutschland geschrieben. Er wird sein Buch „Schwundgeld, Freiwirtschaft und Rassenwahn. Kapitalismuskritik von rechts: Der Fall Silvio Gesell" vorstellen und sich kritisch mit aktuellen Ansätzen in der Linken sowie der Ökologiebewegung auseinandersetzen.

Seit Jahrhunderten suchen Menschen inmitten wirtschaftlicher oder gesellschaftlicher Umbrüche nach einfachen Erklärungen und rettenden Auswegen. So entstand in Reaktion auf Industrialisierung, Materialismus und Urbanisierung Mitte bis Ende des 19. Jahrhunderts in Deutschland die sogenannte Lebensreformbewegung. Die Entwicklungen der Moderne wurden in dieser Bewegung als Verfallserscheinungen angesehen und eine "Erlösung" versprachen sich die überwiegend völkischen, antisemitischen und eugenischen Esoteriker mit ihren "Reformen". Die Lebensreformbewegung propagierte ein einfaches, natürliches Leben mit gesunder Ernährung, frischer Luft und Bewegung, statt Erotik eine nordische Freikörperkultur plus Rassenhygiene und Eugenik, einer Menschenzucht, die sich am Ideal blond, groß, muskulös orientierte. Ihr angeblicher dritter Weg zwischen Kapitalismus und Sozialismus beinhaltete einen agrarisch-handwerklichen "fairen" Kleinkapitalismus, vorzugsweise in ländlichen Siedlungen und mit zinsfreiem Geld. Obskure Heilslehren, spirituelle Spinner_innen und auch Vorstellungen, dass etwa Kapitalismus und Marktwirtschaft grundverschiedene Dinge seien oder Finanzwirtschaft und „Realwirtschaft" zwei Paralleluniversen, haben in Zeiten ökonomischer und ökologischer Krisen Konjunktur. Kein Wunder also, dass die „Freiwirtschaftslehre" des Kaufmanns Silvio Gesell (1862 – 1930) keineswegs als historische Marotte abgetan werden kann, sondern reges Interesse erfährt. Gesell behauptete, alle Übel dieser Welt, insbesondere ökonomische und soziale, seien darauf zurückzuführen, dass Geldbesitzer Zinsen „hecken". Gesells Vorschlag lautete, den Zins abzuschaffen und stattdessen so genanntes Schwundgeld auszugeben, also Geld, das in regelmäßigen Abständen an Wert verliert, so dass es sich nicht lohnt, Geld zu horten. Die Freiwirtschaft beinhaltet die Vorstellung, eine parasitäre Klasse von Geldbesitzer_innen erpresse Zins von den tüchtigen Unternehmer_innen und Arbeiter_innen. So sprach Gesell z.B. von der „Brechung der Zinsknechtschaft". Zur Naziparole vom „raffenden" und „schaffenden" Kapital ist es da nur ein kleiner Schritt.

Die Lehre Gesells war ein ungehemmter „Manchesterkapitalismus", in dem Frauen als Gebärmaschinen und reiche Männer als Samenspender fungieren sollten. Dadurch sollte letzten Endes eine "Hochzucht der Menschheit" erreicht werden. Gesell erstellte einen rassenhygienischen und sozialdarwinistischen, frauenfeindlichen und antidemokratischen Gesellschaftsentwurf.

Die heutigen Anhänger_innen der Freiwirtschaft knüpfen programmatisch an Gesell an, ohne buchstabengetreu an seiner Lehre zu kleben. Dies findet in Teilen der globalisierungskritischen und ökologischen Bewegung erheblichen Anklang. Es kursieren, insbesondere auch in den Entwürfen für eine „Postwachstumsgesellschaft", Begriffe wie Regionalgeld, Subsistenzwirtschaft und neue Sesshaftigkeit. Die Regionalität, ein Mix aus Marketing, Identitätsstiftung, Heimattümelei und dem Glauben, für sich und die Umwelt etwas Gutes zu tun, wird ideologisch überhöht und zur politischen Symbolik für eine lokal oder regional beschränkte Ökonomie mit „fairen" Preisen und Löhnen. Eine Art gebremster Kleinkapitalismus mit Reparaturwerkstätten, Gemüseanbau und Tauschringen.

Oldenburg ist seit Jahren ein wichtiger Ort für die Anhänger Silvio Gesells. Seit 2007 ist hier das zentrale „Archiv für Geld- und Bodenreform" an der Carl-von-Ossietzky-Universität beheimatet. Das Konzept der „Postwachstumsökonomie" wurde in Oldenburg vom Gesellianer Niko Paech maßgeblich an der Carl-von-Ossietzky-Universität entwickelt. Es wurde 2007 im Rahmen einer Veranstaltung des „Archivs für Geld- und Bodenreform" erstmalig vorgestellt und hieß zu der Zeit noch schlicht „Geld, Zins und Wachstum."

Die Veranstaltung der Oldenburger Rechtshilfe wird unterstützt von der Stiftung Bildung und Solidarität der GEW Oldenburg – Stadt und der Rosa Luxemburg Stiftung Niedersachsen.

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